Im Spiegel des Zorns

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Kapitel 6 - Verlangen
Sanft tauchte ihre Hand in sein Haar und begann mit den einzelnen Strähnen zu spielen. Sie lächelte dabei, sanft, beinahe etwas verträumt. Doch dann begann sie mit leiser Stimme zu erzählen: „Wie du jetzt schon weißt, sagt man, dass die Sterne die Engel des Silbernen Drachen sind, dass sie die Dunkelheit der Nacht bewachen, wenn das Licht des Tages fern ist.
Es wird aber auch erzählt, dass ab und an, in seltenen Augenblicken, nur in wenigen Jahren im ewigen Lauf der Zeit, den Engeln erlaubt ist, einen Fuß auf die Erde zu setzen, wenn auch nur kurz. So tragen sie, wenn sie herabsteigen, die Gestalt von Tieren oder aber auch von Menschen. Und so erzählt eine Geschichte, dass einer jener Engel die Erde berührte und die Gestalt eines weißen Luchs-Weibchens annahm.
Sie zog ihre Wege durch den tiefen Wald und traf dort auf einen Wolf.
Ein Blick allein genügte und beide Tiere spürten eine tiefe Verbundenheit zueinander und das, obwohl sie so unterschiedlich waren.
Gemeinsam zogen sie durch die Nacht, um zu jagen und teilten ihren Weg unter dem Sternenzelt von dem aus die Schwestern des Engels hinabsahen auf das Schicksal der beiden.
Sie hingegen wusste, dass ihre Zeit begrenzt war, die sie auf der Erde verbringen konnte. Der Wolf jedoch ahnte nichts davon und als der Tag kam, an dem sie ihn verlassen musste, war er erfüllt von Zorn und Schmerz.
Jamila, das war der Name des Engels, kehrte zurück zu ihren Schwestern und sah jede Nacht hinab zu ihrem Wolf, der von jenem Tage an keinen einzigen Blick mehr den Sternen am Himmel zuwandte. Trotzdem wachte sie über ihn, all die Jahre seines Lebens und als die Stunde seines Todes gekommen war, bat Jamila den Silbernen Drachen, zu ihm zurückkehren zu können.
Der Silberne Drache, dessen Wesen die Gnade ist, gewährte dem Engel seinen Wunsch, noch einmal auf die Erde hinabzusteigen, diesmal in Gestalt eines Wolfswelpen und der alte, sterbende Wolf erkannte Jamila nicht, als sie zu ihm kam.
Sie legte sich zu ihm und blieb dort, bis sein letzter Atemzug verstrichen war und als sie in den Himmel zurückkehrte, nahm sie einen einzelnen Ton seines Seelenliedes mit sich hinauf in die Nacht und trug ihn fortan in ihrem Herzen.“
Sie schwieg und sah in Alkanas Augen, ließ sich einmal mehr in das tiefe Blau fallen und spürte eine fast unerträgliche Wehmut in sich aufsteigen. Dennoch lächelte sie.
Er erwiderte das Lächeln ruhig.
„Was für eine schöne, aber traurige Geschichte. Hätte er gewusst, wer sie wirklich ist, hätte er sich wohl eine andere Jagdgefährtin gesucht.“
Der Satz kam ihm leicht und unbeschwert über die Lippen und Lauriel wandte den Blick ab. Für einen kurzen Moment flammte Sehnsucht nach der Heimat in ihr auf, nach Menschen, die sie kannten und schätzten und vor denen sie nichts verbergen musste. Dann jedoch fühlte sie die Wärme, die er ausstrahlte und zwang sich, ihm den Blick wieder zuzuwenden.
„Wir wissen nie, was für Wege das Schicksal für uns bereithält und nichts geschieht ohne Grund.“
Alkanas hob die Hand und fuhr durch ihr Haar.
„Du hast recht, jangwa maua, aber dennoch müssen wir nicht alles einfach hinnehmen, was das Schicksal uns bringt.“
‚Ich wünschte, du hättest Recht‘, dachte sie im Stillen, doch sprach es nicht aus. Stattdessen fuhr sie mit den Fingerspitzen einer Hand langsam und sanft die Linien seines Gesichtes nach, ohne darüber nachzudenken, was sie tat.
Alkanas schloss die Augen und genoss es sichtlich und erst, als er die Augen wieder öffnete und sie ansah mit einem Funkeln im Blick, das sie schlucken ließ, zog sie ihre Hand zurück und wagte für einige Augenblicke kaum zu atmen.
Er hingegen sah sie an und brachte sein Gesicht so dicht vor ihres, dass sie seinen Atem auf ihren Wangen spüren und die Wärme seiner Lippen ahnen konnte.
„Bitte..“, flüsterte sie tonlos und schloss die Augen, weil sie glaubte, zerspringen zu müssen, wenn sie noch länger diesen Ausdruck in seinem Blick sah.
Eine Weile geschah nichts.
Dann spürte sie, wie die Wärme nachließ und er nah an ihrem Ohr flüsterte:
„Du ahnst nicht, wie schwer mir das fällt.“
‚Mehr, als du denkst‘, dachte sie im Stillen für sich und flüsterte leise:
„Danke.“
Eine Weile lang schwiegen sie beide, bis er schließlich tief durchatmete und sagte:
„Wir sollten schlafen, wenn wir noch etwas Ruhe finden wollen, ehe die Sonne zu heiß vom Himmel brennt.“
Lauriel sagte nichts, nickte nur und während sie ihren Gedanken nachhing, spürte sie, wie er langsam in einen tiefen Schlaf hinabglitt.
Es war ein schönes Gefühl.
Er war hier, ganz nah bei ihr und schenkte ihr einen Hauch von Nähe, etwas, was sie im Laufe der vielen Jahre, die vergangen waren, seit der Rote sich ihr zuletzt gezeigt hatte, beinahe vergessen hatte.
Erstaunt begann sie zu verstehen, dass sie tatsächlich so etwas wie Geborgenheit empfand und sie musste über sich selbst schmunzeln, als sie es schließlich verstand.
Schlaf fand sie hingegen nicht. Ihre Gedanken kreisten um all das, was geschehen war in dieser Nacht, um Erinnerungen und Bilder in ihrem Sinn.
Die Sehnsucht nach seiner Nähe brannte in ihr auf und sie kämpfte sie wütend nieder, da ihr klar war, dass sie die Kontrolle darüber niemals verlieren durfte.
In dem verzweifelten Versuch, sich von ihrem Verlangen nach ihm abzulenken, ließ sie ihre Gedanken weit zurückwandern, fort in das erste Zeitalter und zu ihrem Ziehsohn.
Sie wollte sich an die schönen Augenblicke erinnern, die sie mit ihm geteilt hatte und ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie sich neben ihm auf dem Lager aus Fellen liegen sah.
Nabu sah durch die Luke im Zelt hinauf zu den glitzernden Sternen und wie so oft drehte er eine von Lauriels Haarsträhnen zwischen seinen kleinen Fingern.
„Sind das die Engel des Silbernen Drachen, Lauriel?“
„Ja, das sind sie, Nabu. Aber weißt du denn auch, wofür der Silberne Drache steht?“ Nabu drehte sich zu ihr um und grinste.
„Ja, der Silberne Drache steht für die Schöpfung.“
„Und was noch?“
Lauriels Blick war voller Wärme. Dass er wieder schlafen konnte, ohne schreiend aufzuwachen und dass er wieder lächeln konnte, erschien ihr wie ein Wunder.
„Hm..“
„Er steht für die Gnade, Nabu.“
„Ach so.“
„Und der Schwarze Drache?“
Nabu nestelte an der Haarsträhne und dachte angestrengt nach. „Der Schwarze Drache steht für das Ende?“ Lauriel lächelte.
„Wenn der Silberne Drache der Anfang ist, dann ist der Schwarze Drache das Ende. Er ist geheimnisvoll und mächtig und wünscht sich, immer noch mehr Macht zu besitzen.“ Nabu sah sie nachdenklich an.
„Und das ist gut?“
Lauriel stubste mit dem Finger auf seine Nasenspitze.
„Es ist nicht an uns, die Wege der Drachen zu bewerten, Nabu.“
„Dann ist da der Rote Drache, das ist einfach. Er steht für die Tat und für den Kampf und für die Familie.“
Lauriel nickte und strich dem Jungen durch die blonden Locken.
„Ja Nabu, genauso ist es.“
Er sah sie an und sein Blick wurde kurz etwas dunkler. „Du bist jetzt meine Familie.“ Sie sah zu ihm und nickte.
„Ja, Nabu, und das werde ich immer sein, versprochen.“ Eine Weile lag Stille in der Luft, dann sprach sie rasch weiter.
„Was ist mit Grün?“
Das Lächeln kehrte zurück auf das Gesicht des Kindes. „Er steht für das Leben und die Wälder und die Tiere.“ „Und…?“, fragte Lauriel. „Ich mag Jagen nicht.“ Lauriel lachte.
„Aber dennoch gehört es zum Weg des Grünen Drachen, so, wie die Gnadenlosigkeit.“ Nabu seufzte.
„Welche Drachen kennst du noch?“
„Der Kupferne Drache. Er ist der stärkste und herrscht über alle anderen.“ Lauriel schmunzelte und nickte.
„Und der Graue Drache steht für Weisheit.“
„Aber auf für Wissen und vergessen“, fügte Lauriel hinzu.
Nabu runzelte die Stirn.
„Aber das passt doch eigentlich alles nicht.“
Lauriel spürte die immer schneidender werdende Kälte der Wüstennacht und zog das Fell weiter über Nabus kleinen Körper.
„Naja schau, jeder Drache hat seine hellen und seine dunklen Seiten. Wo der Rote für die Tat, die
Familie und den Kampf steht, steht er auch für den Blutrausch. Der Grüne ist Leben, aber auch
Gnadenlosigkeit, der Kupferne Drache steht für Herrschaft, aber auch für Tyrannei und der Graue für Wissen und Vergessen.“ Nabu zog die Nase kraus.
„Was ist Tyrannei?“
Lauriel stutzte und lachte schließlich.
„Tyrannei ist, wenn jemand nicht richtig verstanden hat, was Herrschaft eigentlich sein sollte.“ Nabu sah sie verwirrt an und Lauriel schmunzelte.
„Naja schau, wenn jemand herrscht, wie zum Beispiel ein Sultan über ein Land und ihm dann egal ist, was mit den Menschen passiert, dann leiden diese meistens sehr darunter. Solche Herrscher hat es schon gegeben in der Welt. Sie interessiert nur, was für sie selbst gut ist und nicht für andere.“ Nabu nickte.
„Aber es fehlt noch ein Drache, fällt er dir ein?“
Eine Weile herrschte Schweigen und Lauriel glaubte, die angestrengten Gedanken beinahe hören zu können. Als der Ausdruck in dem kleinen Gesicht schließlich fast verzweifelt war, fuhr sie fort. „Da ist noch der Goldene Drache. Er steht für Recht und Gerechtigkeit.“ Nabu lachte.
„Ich vergesse immer den Goldenen Drachen, obwohl wir in Osarien leben.“ Lauriel stimmte in das Gelächter ein.
„Und was ist die Dunkle Seite des Goldenen Drachen, Lauriel?“ Sie sah ihn an und stubste nochmal gegen seine Nase. „Der Verrat. Und jetzt wird geschlafen.“ „Aber..“, begehrte er auf.
„Kein Aber. Augen zu.“
Er gehorchte schließlich und schlief ein, ihre Haarsträhne noch immer zwischen den Fingern. Wie fast jede Nacht sah sie ihm beim Schlafen zu und dankte den Drachen für jedes Lachen, das er ihr schenkte.
Lauriel spürte, wie Alkanas neben ihr atmete und fühlte eine tiefe Ruhe in sich, begleitet von dem stillen Schmerz, der sie immer dann ergriff, wenn sie an Nabu dachte und sie sich fragte, wie es ihm ging und ob er glücklich war.
Irgendwann schließlich fielen auch ihr die Augen zu und sie begann zu träumen.
Oft war es die Vergangenheit, die sie in ihren Träumen sah, manchmal die Gegenwart und selten die Zukunft. Diese Träume hatte sie immer gehasst. Es war schwer genug, so viel länger als ein Mensch zu leben und all die Erinnerungen in sich zu tragen und nichts davon vergessen zu können. Etwas zu sehen, was möglicherweise noch geschehen würde war etwas, was sie zutiefst ängstigte. In dieser Nacht hingegen träumte sie lange von den glücklichen Tagen in der Wüste, damals, im Zeitalter der Wunder, als sie sah, wie Nabu langsam größer wurde.
Doch wenn sie im Traum den Blick zum Rand der Dünen hob, sah sie dort den Jäger stehen, dessen Nähe sie so sehr verbrannte und selbst auf die Weite Entfernung glaubte sie das Blau seiner Augen zu erkennen.
Dann wandelten sich die Bilder ihres Traums und sie sah sich selbst, weit fort von jeder Wüste in den alten Wäldern, die die Grenze Fallacons im Norden kennzeichneten.
Den grasbewachsenen Hang hinab sah sie das Schlachtfeld und dort, wo sie stand, waren die Verletzten hingebracht worden.
Sie sah an sich hinab und sah sich in einem einfachen, roten Leinenkleid mit einer blutbefleckten Schürze.
Was tat sie hier?
Alles fühlte sich seltsam an, als wäre sie nicht sie selbst. Wo war ihre Waffe?
„Lianna hier!“
Lauriel sah sich um, verstand das Zurufen aber nicht.
„Lianna! Schnell!“
Eine Frau schrie sie an, auf ihren Arm gestützt ein Krieger, der aus einer klaffenden Wunde blutete.
„Bitte!“
Lauriel glaubte zu verstehen, dass sie gemeint war und machte langsam einige Schritte auf die Frau zu. In dem Moment hörte sie das Heranpreschen von Pferdehufen.
„Pass auf!“
Die Stimme der Frau überschlug sich. Dann war das Pferd samt Reiter schon heran und riss Lauriel mit sich.
Verzweifelt versuchte sie sich, aus dem Griff zu winden, doch es fehlte ihr an ihrer gewohnten Stärke und so wurde sie auf das Pferd gezerrt, ihre Augen verbunden und ihre Hände gefesselt.
Der Ritt ging lang – wie lang genau, hätte sie nicht sagen können, doch als man sie vom Pferd zog und ihr die Augenbinde abnahm, schmerzte ihr ganzer Körper.
Sie sah sich um und erkannte die Jäger des Grünen Drachen. Einige grinsten sie an, andere wirkten beinahe enttäuscht bei ihrem Anblick.
„Irgendwie hatte ich sie mir anders vorgestellt“, sagte einer.
„Sie erinnert sich nicht, wer sie einmal war. Das ist wohl so bei Legendenwebern, wenn sie sterben und wiedergeboren werden“, erwiderte ein anderer.
„Sie trägt nicht mal Waffen“, kam von der anderen Seite des Kreises, der sich um sie gebildet hatte.
„Was wollt ihr von mir?“
Lauriel hörte ihre Stimme und erkannte sie selbst kaum.
Als Antwort teilte sich die Menge der Jäger und machte einem hochgewachsenen Mann Platz, der langsam auf sie zuschritt.
Sein Gesicht war von einer abstrakten Schönheit, die nur von der Grausamkeit seines Lächelns durchbrochen wurde. Auf seiner Stirn glänzte ein tiefgrün schimmernder Stein, wie Sommerlaub und Tannen und sein dunkles Haar war in viele kleine Zöpfe geflochten, in die Holzperlen eingearbeitet waren.
„Da bist du ja.“
Seine Stimme war beinahe sanft, der Ausdruck in seinen Augen jedoch veränderte sich mit jedem Schritt, den er weiter auf sie zukam.
Als er bei ihr war, beugte er sich zu ihr herab, sog ihren Geruch ein und das Lächeln auf seinen Lippen wurde von einem Ausdruck kaum unterdrückbarer Gier überlagert.
„Bitte..“, hörte Lauriel sich sagen und tief im Traum kämpfte sie verzweifelt mit sich selbst. Warum wehrte sie sich nicht? Warum war sie so wenig sie selbst?
Der Mann brachte sein Gesicht dicht vor ihres und lächelte wieder. Dann zog er einen Dolch aus seinem Gürtel und trieb ihn wortlos zwischen ihren Rippen hindurch bis zu ihrem Herzen. Sie schrie verzweifelt, Blut lief über seine Hand und das letzte, was sie sah, als sie zu Boden sank, war, wie er langsam und genüsslich das Blut von seinen Fingern leckte und lachte, ehe er sich abwandte und ging.
„Shadia, wach auf!“
Sie keuchte und riss die Augen auf.
„Was..?“
Besorgt sah Alkanas auf sie herab, die Hände an ihren Schultern, um sie wachzurütteln. Sie blinzelte und versuchte, zu begreifen, wo sie war, da zog er sie schon zu sich und strich ihr durchs Haar.
„Du hast nur geträumt.“
Lauriel zog die Brauen zusammen und spürte, wie ihr Herz hart gegen ihren Brustkorb trommelte.
„Ich..“
Ihre Stimme war atemlos.
„Nur ein Traum“, wiederholte er ruhig.
Lauriel versuchte ihre Gedanken und die Bilder ihres Traums zu sortieren. Dann wand sie sich aus seinem Griff und schob sich langsam von ihm weg, stand auf und ging einige Schritte fort zum Ufer des Sees.
Ihre Gedanken brannten in ihrem Sinn.
War das letztlich ihr Schicksal?
Als die Drachen sie und die beiden anderen unsterblichen Seelen gefunden hatten, gaben sie ihnen die Aufgabe, das Wissen der Welt zu bewahren und zu hüten. Sie wurden die ersten drei
Legendenweber. Jeder der Drachen hatte ihnen dafür etwas mit auf den Weg gegeben. Der Kupferne hatte ihnen das Pflichtbewusstsein gegenüber dem Kreislauf gegeben, der Rote die Tatkraft, der Grüne die Gabe, die Stimme der Natur zu verstehen. Lauriel schüttelte kaum merklich den Kopf. Der Goldene hatte ihnen die Fähigkeit genommen, zu lügen, der Schwarze hatte ihnen die Fähigkeit gegeben, zu sterben, der Silberne hatte bestimmt, dass sie wiedergeboren werden und der Graue hatte ihnen das Vergessen gegeben. Doch was das wirklich bedeuten sollte, hatte sie nie wirklich verinnerlicht.
Als die Drachen zu ihnen sprachen, klang es wie ein Segen, ein neues Leben beginnen zu können, wenn die Zeit dafür gekommen war. Es klang nach Leichtigkeit und Sorglosigkeit, nicht alles Wissen der Welt für alle Zeit in sich tragen zu müssen und nur das wiederzuerlangen, was wirklich notwendig war.
Doch sollte das bedeuten, dass sie nach ihrem Tod auch sich selbst vergaß?
Wäre sie irgendwann in der Zukunft eine völlig Fremde, die keine Ähnlichkeit mehr hatte mit dem, was sie jetzt war?
Dieser Gedanke war ihr nie gekommen und mit dem Traum, der ihr noch immer eiskalt in den Gliedern steckte, breitete sich tiefes Entsetzen aus. Das war nicht das, was sie wollte.
Sie war eine Kriegerin, sie liebte es, in die Schlacht zu ziehen und furchtlos dem Feind gegenüber zu treten. Die Vorstellung an diese hilflose Frau, die sie in ihrem Traum gesehen hatte, war beinahe schlimmer als das, was ihr dort angetan wurde.
Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und, noch immer getrieben von den Bildern ihres Traums, fuhr herum und starrte in Alkanas Augen, die sie besorgt ansahen.
„Was um aller Drachen Willen ist denn los mit dir? Du hast geschrien im Schlaf und jetzt bist du.. so..
seltsam.“
Lauriel sah zu ihm und brachte ein paar Schritte Raum zwischen sich und ihn. „Es tut mir leid. Es.. war nur ein seltsamer Traum.“
Alkanas sah sie an und zum ersten Mal sah sie einen Hauch von Bitterkeit in seinem Gesicht. „Dann erzähl mir davon.“ Sie schloss die Augen.
„Das geht nicht.“
„Warum?“, begehrte er auf.
„Warum kannst du mir nichts erzählen? Warum muss alles so geheimnisvoll sein? Habe ich dir irgendeinen Grund gegeben, mir nicht zu vertrauen?“
Lauriel erschrak über die Verzweiflung, die sich in seinem Blick und in seiner Stimme spiegelte. „Nein.. das .. das ist es nicht.“
„Was dann?“
Seine Stimme war wütend und beinahe trotzig.
„Was ist es, was dich immer wieder von mir wegtreibt, Shadia. Du spürst doch das gleiche wie ich, das sehe ich in deinen Augen.“
Lauriel schluckte und rang hilflos nach Worten.
„Aber es hilft doch nichts. Unser Weg wird sich früher oder später trennen, Alkanas und wenn..“ Er kam einen Schritt auf sie zu und sie wich einen Schritt zurück.
„Wenn was? Du kannst doch gar nicht wissen, was passiert, Shadia. Du hast Angst vor etwas, von dem du nicht einmal weißt, ob es wahr ist.“
„Bitte..“, Lauriel sah ihn an und sah den Kampf, den er mit sich selbst austrug.
„Bitte was? Shadia ich bin nicht blind, wir wollen beide das gleiche, nur dass du dich die ganze Zeit dagegen wehrst.“
Er schrie die Worte beinahe.
„Aber ich..“
Weiter kam sie nicht.
Mit wenigen Schritten überbrückte er den Abstand zu ihr, nahm ihr Gesicht in seine Hände und legte seine Lippen auf ihre.
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Kapitel 5 - Erinnerungen
Der Mond stand hell am Himmel und erfüllte die Nacht mit seinem silbrig schimmernden Licht. Lauriel und Alkanas saßen an einem Feuer, über dem zwei Wüstenkaninchen, die mit Kräutern eingerieben waren, einen herzhaften Duft verströmten.
Sie hatten viel gelacht und waren mehr durch die Dünen gestolpert, als geschlichen. Ein Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit hatte sich über beiden ausgebreitet und sie hatten sich beide an diesem Gefühl betrunken.
Als sie in der Oase angekommen waren, hatte sie schnell Holz aufgeschichtet und das Feuer mit einem Hauch ihres Atems zum Lodern gebracht, als er gerade nicht hinsah, weil er die Kaninchen ausweidete.
Jetzt blickte sie in die Flammen und schwieg, ruhig an seine Schulter gelehnt.
Alkanas drehte in regelmäßigen Abständen den Stock, auf dem das Fleisch vor sich hin briet.
„Woran denkst du?“, fragte er ruhig in die Stille hinein.
Ein bitteres Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie versuchte, genau das nicht zu tun. Sie wollte nicht denken, denn dann kam der Krieg zurück, die Verantwortung, die Pflicht und ihre Rolle in dieser Welt.
Langsam schloss sie die Augen und atmete tief durch.
Jede Antwort auf seine Frage, wäre eine Lüge gewesen und so tastete sie nur vorsichtig nach seiner Hand, schob ihre Finger zwischen die seinen und begann leise und sanft ein Lied zu singen.
Sie sang von Mond und Sternen, vom Licht des Silbernen Drachen und der Dunkelheit des Schwarzen.
Alkanas lauschte, dann flüsterte er:
„Bitte hör nicht auf“, und erhob sich. Als er wiederkam hielt er eine Bodhran in den Händen, ließ sich wieder neben ihr nieder und trommelte leise einen ruhigen Rhythmus zu ihrem Lied.
Die Bitterkeit war fort und an ihre Stelle waren Nähe und Innigkeit getreten, die Lauriel beinahe schmerzlich in den Sinnen brannten.
Dann waren die letzten Töne verklungen und er lächelte, zog sie etwas näher an sich und küsste sanft ihr Haar.
„Ich habe selten so etwas Schönes wie deine Stimme gehört, Shadia. Im Sturmwald haben wir auch einen Sänger – ich wünschte, ich könnte ihn dir zeigen. Wenn er singt, hören alle zu, weil er mit seinen Liedern Bilder in die Herzen der Jäger schreibt. Das würde dir gefallen. Sein Name ist Nabu.
Einige behaupten, er sei ein Legendenweber – aber das kann nicht sein, denn die Hexe des Roten
Drachen hat alle Legendenweber nach Fallcon gerufen.“
Lauriels Herzschlag setzte für einen Augenblick aus und hätte er in ihr Gesicht geblickt, hätte er die Blässe gesehen, die sich darüber ausbreitete.
Seine Worte waren wie ein Messer in ihrer Brust. ‚Die Hexe des Roten Drachen‘
Tränen stiegen in ihrem Blick auf und sie blinzelte schnell, um sich nicht zu verraten.
Doch nicht weniger als seine Beschimpfung, schmerzte sie der Name, den er ausgesprochen hatte. Sie kannte Nabu – besser als Alkanas ihn kannte – besser vermutlich, als irgendjemand ihn kannte.
Sie schloss die Augen und gab sich den Erinnerungen hin.
Wie lange war es nun her? Sicherlich mehr als dreihundert Jahre.
Vor ihren Augen breitete sich die unendliche Wüste Al’Bajaars aus. Hier war sie geboren worden und hier war damals ihr zu Hause gewesen.
Die Nomadenstämme der Wüste, die an den Roten Drachen glaubten, waren ein einfaches und sehr direktes Volk. Sie kamen mit wenig aus und hatten gelernt, trotz der schwierigen Bedingungen in der Wüste, ein zufriedenes Leben zu führen.
Lauriel erinnerte sich an die Tage, der ihr Leben veränderten.
Nabu war gerade einmal drei Jahre alt und hatte sich, wie so oft, in ihrem Zelt versteckt. Sie kannte ihn seit seiner Geburt, da sie diejenige war, die seiner Mutter bei der Entbindung geholfen hatte.
„Nabu.. wovor versteckst du dich diesmal?“
Sie versuchte streng zu klingen, aber es gelang ihr nicht so recht.
„Ich will nicht jagen“, schmollte die helle Stimme hinter den Kissen ihres Bettes.
„Nabu, du kannst gar nicht jagen.“
Sie lachte laut, als sich ein paar helle Locken und ein Paar große Augen darunter über einem der Kissen zeigten.
„Aber Vater sagt, ich muss es lernen.“ Sie lächelte, als sie ihn ansah.
„Ja, Nabu, das solltest du auch. Irgendwann bist du groß und dann musst du mithelfen, den Stamm mit Nahrung zu versorgen.“
Die Augen über dem Kissen wurden schmal.
„Ich will nicht jagen.“
Lauriel seufzte leise, ging zu ihm hinüber und zerstrubbelte ihm das Haar.
„Los jetzt, deine Eltern machen sich sonst Sorgen.“
„Na gut..“, brummelte er vor sich hin und kam hinter dem Bett hervor.
„Aber..“, er sah sie an und zupfte an ihrem Gewand.
Lauriel sah zu ihm hinab, langte in einen ihrer Beutel und zog eine halbe Hand voll Datteln hervor, die sie ihm gab. „Jetzt aber los!“
„Ist gut.“
Er tapste in Richtung Ausgang.
„Was sagt man?“
„Danke, Lauriel.“
„Aha..“, murmelte sie vor sich hin und schmunzelte.
Es war der letzte unbeschwerte Tag in seinem Leben gewesen.
Einen Tag später wurde ihr Stamm angegriffen.
Sie waren wie aus dem nichts gekommen. Keine Schergen des Sultans, auch keine Räuber. Lauriel hatte sie noch nie gesehen und die anderen auch nicht.
Sie waren völlig verhüllt in schwarzen Gewändern mit dünnem, rotem Tuch, das sogar ihre Augen bedeckte.
Sie kamen auf riesigen schwarzen Pferden und die ersten Roten waren bereits gefallen, ehe sie wirklich begriffen, dass sie angegriffen wurden.
Lautlos waren sie gewesen – wie Geister, nur mit sehr realen Klingen.
Lauriel saß in ihrem Zelt und schrieb in eines ihrer Bücher, als sie die Schreie hörte und nach draußen stürmte.
Das erste, was sie sah, war Blut. Blut, das den hellen Wüstenboden tränkte und darin versickerte.
Dann sah sie Nabu.
Er stand dort mit weit aufgerissenen Augen, drei der unheimlichen Reiter vor ihm und zwei von ihnen hielten die abgetrennten Köpfe seiner Eltern in der Hand.
„Nein!!“
Lauriel stürmte auf die Reiter zu und alles in ihr begann sich in einem tiefen roten Nebel zu verlieren. Die Reiter wandten ihren Blick der Frau zu und gingen im gleichen Augenblick in Flammen auf. „Nabu komm!“
Sie wollte das Kind an sich reißen, aber Nabu stand wie zur Salzsäule erstarrt und rührte sich nicht. Lauriel folgte dem Blick des Jungen und sah im Sand seine kleine Schwester liegen. Es war erst vier Monate her, dass sie das Kind auf die Welt geholt hatte und jetzt lag sie, wie eine Puppe in zwei Teile gerissen, achtlos im Sand. „Luani..“, flüsterte Nabu tonlos.
Lauriel versuchte, das Bild, das sich ihr darbot, zu begreifen, doch von beiden Seiten nahm sie Bewegungen wahr und hörte den Kampflärm.
„Nabu..“
Sie riss das Kind mit sanfter Gewalt an sich und drückte sein Gesicht an ihre Schulter, damit er nichts mehr sehen konnte.
„Ich bin da. Ich beschütze dich,“ flüsterte sie in sein Ohr, so sanft es ihr möglich war.
Um sie herum entbrannte ein verzweifelter Kampf gegen die schattenhaften Reiter, doch sie weigerte sich, den Jungen aus ihren Armen zu lassen.
Zorn und blinde Wut ließen einen nach dem anderen in Flammen aufgehen und als sich endlich Stille über die Wüste legte, gruben sich ihre Füße in blutgetränkten Sand, während sie die Leichen ihrer Gefährten zählte.
Spät in der Nacht, als die Verwundeten versorgt und die Toten verbrannt waren, klammerte sich Nabu immer noch an sie.
Seine kleinen Hände hatten sich in Stoff und Haare gekrallt und waren vollkommen verkrampft, unfähig, loszulassen. Das Gesicht des Kindes war zu einer Maske aus Angst und Schmerz erstarrt.
„Was geschieht nun mit ihm?“
Mahinjael, der Stammesführer hatte auf den Jungen gedeutet und Lauriel fragend angesehen.
Lauriel hatte nicht einen Augenblick nachdenken müssen, ehe sie die Antwort gab.
„Er bleibt bei mir. Ich werde ihn groß ziehen und mich um alles kümmern.“
Mahinjael hatte sie eine Weile lang angesehen. Er wusste, welche Aufgaben in dieser Welt auf sie warteten, da sie lange mit ihm darüber gesprochen hatte. Doch sein Blick änderte nichts an ihrer Entscheidung.
„Nabu wird von diesem Tage an mein Sohn sein und es ist mir egal, was du oder sonst irgendjemand dazu sagt. Ich verlasse eher den Stamm, als ihn nicht bei mir zu haben.“
Der große Mann mit den beinahe schwarzen Augen hatte noch eine Weile zu ihr gesehen, dann hatte er geseufzt.
„Gegen deinen Dickschädel ist so oder so kein Kraut gewachsen.“
Dann war er gegangen und Lauriel hatte Nabu mit in ihr Zelt genommen.
„Nabu.. du.. musst jetzt loslassen. Ich gehe nicht weg. Ich verspreche dir, dass ich ab heute immer für dich da sein werde.“
Trotzdem hatte es Stunden gedauert, bis sie seine kleinen Hände von sich gelöst hatte. Langsam hatte sie mit Wasser und einem Tuch das Blut aus seinem Gesicht und von seinen Armen gewaschen, ihm saubere Kleidung gegeben und schließlich hatte sie sich zu ihm gelegt, ihn zugedeckt und einen tiefen Schlafzauber um ihn gesungen, damit er Ruhe fand.
Sie hingegen hatte in dieser Nacht wach gelegen, denn ihr Herz war erfüllt von einem Hass, den sie vorher so noch nie empfunden hatte.
Wer immer diese Reiter geschickt hatte, würde ihre Rache spüren. Dieses Versprechen gab sie sich selbst.
Lauriel blinzelte in das Feuer, das vor ihr brannte.
Nabu hatte lange bei ihr gelebt und je älter er wurde, desto schwieriger war es geworden. Sie hatte sein Talent im Umgang mit der Musik sehr früh erkannt und gefördert, doch bis heute war sie sich nicht sicher, ob sie ihn deswegen zu ihrem Schüler und Legendenweber gemacht hatte, oder weil sie den Gedanken nicht ertrug, dass er ein sterbliches Leben führte und sie ihn irgendwann zu Grabe tragen musste.
Nabu hingegen war für die Unsterblichkeit seiner Seele nicht gerade dankbar gewesen und obwohl sie eine lange Zeit gemeinsam in der Wüste lebten, so kam doch der Tag, an dem er ihr und dem Weg des Roten Drachen den Rücken kehrte.
Es war das erste Mal gewesen, dass sie den Schmerz eines gebrochenen Herzens fühlte, als Nabu, ihr Ziehsohn, nach einem Streit seine Sachen packte und sie verließ und bis heute klaffte diese Wunde in ihr, obgleich sie sich ab und an wiedergesehen hatten.
„Shadia.. du..“, Alkanas strich sanft über ihre Wange.
Wieder waren ihre Tränen geflossen, ohne, dass sie es bemerkt hatte.
„Verzeih. Es.. es ist so eine schöne und .. besondere Nacht,“ flüsterte sie und hauchte einen Kuss auf seine Fingerspitzen.
„Ja, das ist wahr. Doch glaub mir, auch im Sturmwald sind die Nächte voller Zauber.“ Er sah sie an und lächelte.
„Komm mit mir zurück zum Sturmwald. Ich zeige dir alles, die Vielfalt des Grünen Drachen und den Zauber der Natur.“
Sein Blick funkelte wie der eines kleinen Jungen, der voller Begeisterung ein Geschenk erwartet.
Ihr Blick hingegen war tief, dunkel und schwer.
‚Ich war bereits dort‘, dachte sie. ‚Ich kenne den Sturmwald, wo die Bäume höher sind, als man es sich vorstellen kann, wo der Wind Geschichten in die Blätter flüstert und der Nebel Kreaturen verbirgt, die man nirgends sonst auf der Welt findet. Ich war dort, lange ehe du geboren wurdest, Alkanas, und ich werde dort sein, wenn du längst nicht mehr bist und dein Name nur noch ein Klang in alten Legenden. Würde ich dich dorthin begleiten, wäre es mein Tod, denn ich bin dein Feind und
tausend Klingen fänden mein Herz, noch ehe du begriffen hast, wer ich eigentlich bin.‘ Wie gerne hätte sie ihm all dies einfach gesagt.
Doch sie schwieg und suchte nach Worten, die keine Lüge waren, um ihm zu antworten.
Ihre Gefühle brannten in ihr und sie war nicht in der Lage, sie irgendwie zu beruhigen.
Sie hob den Blick zu den Sternen und für einen kurzen, kaum wahrnehmbaren Moment kam ihr der Gedanke, dass all dies Schicksal war – ein Schicksal, das ihnen beiden nichts als Leid brachte und dem sie nicht mehr entkommen konnten.
Für einen Moment erinnerte sie sich an ein Gespräch mit jenem Mann, der ihr vor langer Zeit das Harfe Spielen beibrachte.
„Wisse immer eines, mein Kind. Nichts – rein gar nichts auf dieser Welt geschieht ohne Grund. Wenn das Schicksal der Menschen es erfordert, dass ein Sturm ihre Welt bewegt, wird irgendwo in der Welt ein Schmetterling mit den Flügeln schlagen, um an anderer Stelle und zu anderer Zeit damit einen Sturm zu entfesseln.“
Sie ließ die Worte in ihrer Erinnerung vorbeiziehen, schloss die Augen und flüsterte kaum hörbar: „Ich bin der Schmetterling, oder nicht?“ Alkanas sah verwirrt zu ihr.
„Was hast du gesagt?“
Sie schluckte erschrocken, dann löste sie sich von ihm, nur um vor ihn zu rutschen und seine Hände in ihre zu nehmen.
„Ich kann nicht mit dir in den Stumwald gehen, Alkanas.“
Sie zögerte eine Weile, ehe sie fortfuhr und beobachtete, wie seine Züge auf ihre Worte reagierten. „Das bedeutet nicht, dass ich es nicht will – aber ich kann es nicht. Ich kann dir aber auch nicht sagen, warum das so ist.“
Sie streichelte sanft mit den Fingerspitzen über seine Handrücken.
„Nein, das ist nicht ganz wahr. Ich kann es dir sehr wohl sagen, aber in dem Moment, in dem ich es dir sage, wird das, was hier ist.. das… was WIR hier sind.. es wird enden.“
Tief drang sie in seinen Blick um ihm die Tragweite ihrer Worte bewusst zu machen und sie konnte seinen Herzschlag spüren, der rasch und widerspenstig die Worte fortwischen wollte.
„Es ist deine Entscheidung“, fuhr sie leise fort.
„Glaub mir, Alkanas, der Tag wird früh genug kommen, an dem du für mich nichts anderes mehr fühlen wirst, als Hass.“
Alkanas sah sie an, sah in die tiefen dunklen Augen der Frau, die so viel in ihm bewegen konnte und versuchte, zu verstehen, was sie da redete. Warum glaubte sie so etwas? Was verbarg sie vor ihm und warum war sie nicht in der Lage, ihm zu vertrauen und daran zu glauben, dass er für sie niemals ein Gefühl wie Hass empfinden könnte? „Warum, Shadia? Warum sollte das so sein?“
Liebevoll strich er einige Haarsträhnen aus ihrem Gesicht und erschrak beinahe, als er sah, was für eine unermesslich tiefe Trauer seine Worte in ihrem Blick auslösten.
Er schloss für einen kurzen Moment die Augen und entzog sich ihrem Griff, jedoch nur, um den Stock mit den Kaninchen, die sie nicht angerührt hatten, beiseite zu stellen, seine Felle zurecht zu rücken und sich hinzulegen.
Mit sanftem Nachdruck zog er sie zu sich, schloss sie in die Arme und flüsterte mit warmer, weicher Stimme:
„Ich würde dir so gerne die Bäume des Sturmwaldes zeigen und wie die Sterne durch ihre Blätter blitzen, aber Shadia – nicht zu jedem Preis. Und wenn dies hier dafür enden müsste, dann will ich es nicht.“
Er küsste ihr Haar, ihre Stirn und sah sie an.
„Aber irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich zu meinen Jägern zurückkehren muss, Shadia. Bis dahin, diese Hoffnung gebe ich nicht auf, werden wir einen Weg gefunden haben, der verhindert, dass das hier“ und nun küsste er sanft ihren Hals „dass das hier jemals endet.“
Sie schluckte und fühlte die Gänsehaut, die sich auf ihr ausbreitete. Und sie schwieg, denn es gab nichts, was sie dazu hätte sagen können.
„Eine Frage habe ich aber noch, Shadia.“
Jeder Muskel in ihr spannte sich an, wartend auf das, was jetzt noch käme.
Er hingegen lächelte sanft.
„Kennst du noch mehr Geschichten über die Sterne?“
Langsam, ganz langsam entspannte sie sich und näher noch zog er sie an sich.
„Natürlich, flüsterte sie.“
„Dann“, jetzt schmunzelte er „erzählst du mir eine?“ Sie sah in das tiefe Blau seiner Augen und nickte.
„Natürlich.“
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Kapitel 4 - Entscheidungen
Layna lehnte an einer der Säulen, die den Weg zwischen Tempel und Hauptversammlungshaus von Elitawana säumten. Sie saß gerne hier und blickte über die Dächer der Tempelstadt hinweg, um ihre Gedanken schweifen zu lassen.
Makuú, einer der drei Akolyten des Roten Priesters, näherte sich ihr langsam und beobachtete eine Weile aus sicherer Entfernung das Gesicht der Frau, die so viel älter und weiser war, als er es jemals werden würde.
„Was gibt es, Makuú?“, fragte Layna, ohne auch nur den Kopf in seine Richtung zu wenden.
„Verzeiht, Herrin, ich wollte euch nicht anstarren.“
Layna seufzte leise und schüttelte kaum merklich den Kopf. Sie wirkte müde, unter ihren Augen lagen Schatten und der Kummer, der sich nur schwer verbergen ließ, hatte feine Linien in ihrem Gesicht hinterlassen.
„Komm.“
Sie deutete auf den Platz neben sich.
„Du hast Fragen, also frag.“
„Woher wisst ihr..?“
Layna unterbrach ihn nur mit einem kurzen Blick in seine Augen.
„Verzeiht..“, murmelte der hochgewachsene junge Mann, unter dessen Turban ein paar einzelne, dunkle Locken hervorblitzten und ein Gesicht rahmten, dessen Haut wie Karamell war mit Augen, so grün wie die Wiesen um den Tempel herum.
„Du machst dir Sorgen?“
Layna hatte den Blick wieder von ihm abgewendet.
„Ja, Herrin. Und nicht nur ich.“
Er zögerte etwas und schien über seine Wortwahl nachzudenken, was Layna wiederum zum
Schmunzeln brachte, da gerade Makuú jemand war, der immer sehr direkt aussprach, was er dachte.
„Der Rote Priester sagt, dass er Nachricht bekommen hat. Die Situation zwischen Fallacon und dem
Sturmwald ist angespannter denn je. Er sagt auch, dass es eine Prophezeiung gibt, dass ein Volk der Drachen dieses Zeitalter nicht überleben wird. Ist das wahr, Herrin?“ Layna seufzte.
Mehr als zweihundert Jahre war es her, dass sie diese Vorhersehung hatte und seitdem war so vieles geschehen. Einen kurzen Augenblick war sie besorgt, denn außer ihr, den Drachen und den Hohepriestern sollte niemand etwas davon wissen, doch dann lächelte sie etwas wehmütig. Der Seher und sie waren die einzigen, die Elitawana verlassen und besuchen konnten, wie es ihnen gefiel. Der Schutz der Drachen, der um diese Stadt lag, machte es jedem anderen Sterblichen unmöglich, alleine hierher zu gelangen, es sei denn, es war der Wille der Drachen selbst, der sie herschickte. Sie sah Makuú in seine tiefgrünen Augen und nickte langsam.
„Es ist wahr. Eine solche Prophezeiung gibt es, mein Junge.“
Makuú rutschte ungeduldig neben ihr auf dem Grasstreifen zwischen den Säulen hin und her.
„Aber was bedeutet das? Welches Volk wird es sein und – warum tun die Drachen nichts dagegen?
Warum sagen wir es den Menschen nicht, damit sie wissen, dass dieser Krieg zu einem schrecklichen Ende führen wird?“
Layna seufzte erneut, versuchte aber, sich ein Lächeln abzuringen.
„So einfach ist es nicht, Makuú. Sonst wäre meine Aufgabe nur die, den Menschen zu sagen, was sie zu tun oder zu lassen haben. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass das nicht funktioniert und kein Wort, das ich sprechen kann, würde diesen furchtbaren Krieg zu einem Ende bringen – auch das konnte ich sehen.“
Die grünen Augen blitzten auf.
„Aber die Drachen können doch nicht wollen, dass eins ihrer Völker ausgelöscht wird!“ Layna nickte.
„Das wollen sie auch nicht, Makuú. Aber es ist schwer, einen Weg zu finden, gegen das Schicksal selbst zu kämpfen.“
„Haben sie es denn versucht?“
Die Stimme der Zeit lehnte den Kopf an die Säule und schloss die Augen.
Jahrzehntelang hatte sie zu den Drachen gesprochen, um einen Weg zu finden, um das, was sie gesehen hatte, zu verhindern.
Am Ende hatten die Drachen beschlossen, einen Vermittler zu erschaffen, der so rot war, wie grün und der den Krieg beenden sollte. Ein Jäger mit rotem Feuer, ein Krieger, verbunden mit der Natur. Er sollte es sein, der den Frieden bringt.
Doch der Weg dorthin war schwer. Siebzehn Jahre lang hatte der Rote Drache sich seiner Gefährtin nicht mehr gezeigt, damit sie in der Lage war, ihr Herz einem anderen Mann zu öffnen und jetzt, als alles so arrangiert war, dass Lauriel, die Gefährtin des Roten Drachen und Heerführerin des Roten Heeres in Al’Bajaar auf Alakans traf, den König der Jagd und Anführer der Grünen, war doch nichts so, wie es hätte sein sollen.
Die Drachen hatten nicht bedacht, was Gefühle ausrichten. Lauriel war zu zerrissen zwischen dem Drachen, den sie liebte und dem Mann, der so mühelos die, seit Jahren währende Einsamkeit vertrieb und Alkanas war zu verblendet von seinen Gefühlen der Unbekannten gegenüber, um scharfsinnig genug zu sein, die richtigen Fragen zu stellen. Vermutlich hatten die Drachen nicht einmal damit gerechnet, dass Lauriel und Alkanas sich nicht erkannten.
Layna sah den dunklen Sturm, der sich über dem Wüstenhimmel zusammenzog, der seine Schatten auf das ganze restliche Zeitalter warf und weit darüber hinaus und sie fühlte, wie es ihr das Herz zerriss.
„Weißt du, Makuú – die Wege der Drachen sind unergründlich. Ich bin sicher, sie haben alles in ihrer
Macht stehende getan, um zu verhindern, dass so etwas Schreckliches passiert. Alles andere wird das Schicksal zeigen. Hab Vertrauen.“
Mit diesen Worten stand sie auf, weil sie den Blick aus den leuchtend grünen Augen, die noch so wenig von der Welt gesehen hatten und frei waren von dem Schmerz, den nur das Schicksal selbst hervorbringen konnte, nicht mehr ertrug.
„Ich habe noch zu tun.“
Dann ging sie fort, ohne sich umzusehen.
Die Drachen hatten eine Entscheidung getroffen und mit den Konsequenzen dieser Entscheidung musste die Welt nun leben.
Der Abend kündigte sich mit atemberaubenden Farben über dem Wüstenhimmel an. Lauriel und Alkanas lagen immer noch ineinander verschlungen an dem Stein, an dem er sie gefunden hatte.
Er war eingeschlafen. Lauriel beobachtete ihn und flüsterte leise und sanft einen tieferen Schlaf in seine Seele, um in Ruhe nachdenken zu können.
Wieder und wieder glaubte sie, die Stimme von Detarius in ihrem Gewissen zu hören, der ihr unmissverständlich klar machte, dass es nur einen richtigen Weg geben konnte.
Es wäre ihr ein leichtes gewesen, seine Erinnerungen an sie verschwinden zu lassen und zu gehen. Er wäre aufgewacht und seiner Wege gezogen und sie hätte mit dem Gedanken weitergelebt, dass er niemals mehr sein konnte, als ihr Feind.
Doch je länger sie so da lag und ihn betrachtete, sich seine Züge einprägte, als wäre es das letzte Mal, dass sie ihn sah, desto mehr wehrte sich etwas in ihr dagegen, diesen vernünftigen Weg zu gehen. Sie lauschte tief in sich hinein, dort, wo ihr eigenes Seelenlied erklang, in dem nun der Hauch einer fremden Melodie eingewoben war – seiner Melodie.
Gleich, was geschah, sie würde ihn nicht vergessen können. Er würde immer ein Teil von ihr sein, egal wo sie war und was sie tat und der Gedanke, dass er sich dann nicht mehr an sie erinnern konnte, wurde so unerträglich, dass es ihr die Kehle zuschnürte.
„Nein..“, flüsterte sie.
Sanft hob sie eine Hand und zog mit den Fingerspitzen die Linien seines Gesichtes nach.
„Es tut mir so leid. Ich weiß, es wäre besser für dich, aber der Gedanke allein bricht mir das Herz.“
Sie schloss die Augen und versuchte, die aufsteigenden Tränen zurückzudrängen.
Was, wenn sie doch einen Weg fand, ihm zu erklären, wer sie war?
Ein bitterer Zug huschte über ihre Lippen. Es war zu spät für die Wahrheit – viel zu spät. Gleich, was sie sagte, er würde sich von ihr hintergangen fühlen.
Als sie die Augen wieder öffnete, lag ein tiefer, trauriger Schimmer darin.
„Ich kann diese Entscheidung nicht allein treffen“, wisperte sie, schmiegte sich noch etwas tiefer in seinen Arm und löste den Zauber, der ihn tief im Schlaf hielt.
Er blinzelte und tauchte noch im gleichen Augenblick in die Dunkelheit ihrer Augen.
„Geht es dir besser?“, war seine erste, hastige Frage.
„Ja.. sorge dich nicht.“ Ihre Stimme war weich und warm und das Lächeln auf ihren Lippen erfüllt von einer sonderbaren Ruhe.
„Aber .. du siehst traurig aus.“ Lauriel atmete tief ein und aus.
„Ich bin traurig, Alkanas.“
Nun schloss er kurz die Augen und seine Lippen wurden schmal.
„Ich habe dich verletzt, es tut mir leid. Glaub mir, wann immer ich die Verbindung einer Luishja sah, war es schön und voller..“
Lauriel legte rasch einen Finger auf seine Lippen. „Nein.. es ist alles gut. Das ist es nicht.“ Er runzelte die Stirn und sah sie wieder an.
„Was.. ist dann?“
Lauriel tauchte in seine tiefblauen Augen und lächelte traurig. Dann versuchte sie sich aus seiner Umarmung zu lösen.
„Nicht..“
Es war eine Bitte – nicht mehr und nicht weniger.
Sie verharrte und sah ihn an.
In ihr brannte der Wunsch auf, ihm etwas zu geben, ihm Erinnerungen zu schenken, die von Freude und Glück erfüllt waren, denn ihr war klar geworden, dass es längst unvermeidlich geworden war, dass auf das, was sie hier teilten, irgendwann ein Schmerz folgen würde, den sie beide vielleicht nicht ertragen konnten.
„Ich..“, setzte sie an und brach dann wieder ab, nach Worten suchend, die wenigstens halbwegs ausdrücken konnten, was sie ihm sagen wollte.
Er betrachtete sie dabei schweigend, ahnend, dass in ihr ein Kampf tobte, den er aus irgendeinem Grund nicht verstehen konnte.
Schließlich neigte er sich vor und küsste sanft ihre Stirn.
Dann ließ er sie los.
Lauriel erhob sich langsam und ging ein paar Schritte, spürend, dass er ihr folgte.
Also versuchte sie den Sturm aus Gedanken, Gefühlen und Ahnungen, der in ihr tobte, zu beruhigen und atmete tief ein und aus. Dann blieb sie stehen, wandte sich um und nahm seine Hände in ihre, während sie ihm in die Augen sah.
„Alkanas..“, begann sie zögernd, jedoch plötzlich von einer eigentümlichen Ruhe erfüllt. „Es kann nur zwei Wege geben, die wir von diesem Augenblick an gehen..“ Er sah sie noch immer an und schwieg, wartend auf die folgenden Worte.
„Der eine Weg ist der, dass ich auf mein Pferd steige und fortreite. Wir sehen uns niemals wieder, werden nie wieder teilen, was wir hier bereits teilten und du darfst nicht nach mir suchen.“ Ein dunkler Schatten legte sich auf seinen Blick und sie sah an seinen Wangenmuskeln, wie seine Kiefer aufeinander gepresst waren. Dennoch wartete er, dass sie weitersprach.
„Der andere Weg ist der, dass du..“, sie zögerte etwas und schloss die Augen, ehe sie weitersprach, da die Worte ihr nur schwer über die Lippen kamen.
„Der andere Weg ist der, dass du mir vertraust. Stell keine Fragen.. und komm mir nicht näher, als du es in dieser Nacht warst. Dann werde ich bleiben – zumindest eine Weile.“ Sie öffnete die Augen und sah seinen Blick, der ihr wie ein Messer ins Herz schnitt.
Leise flüsternd fügte sie hinzu:
„Und auch, wenn du es jetzt noch nicht verstehst – der zweite Weg, wird der schmerzvollere sein.“ Alkanas sah sie an, huschte mit seinem Blick über ihre Züge und wieder zurück zu ihren Augen. Was machte ihr solche Angst und was verbarg sie vor ihm? Was konnte so schlimm sein, dass sie nicht in der Lage war, es ihm offen zu sagen?
Einen winzigen Moment kämpfte sich so etwas wie Misstrauen in ihm hoch, doch wurde dieser zaghafte Versuch seines Verstandes im Keim erstickt, als er in ihren Augen das Gefühl hatte, die Weisheit einer ganzen Welt zu sehen und tief atmete er ein und aus.
Dann zog er sie näher zu sich und schloss sie in seine Arme.
„Du kennst die Antwort bereits, Jangwa Maua.. meine Wüstenblume. Ich wähle den zweiten Weg, egal, was er mit sich bringt.“
Auch sie schloss die Augen und atmete seine Nähe ein.
‚Sie braucht nur Zeit‘, dachte er still für sich und lächelte, während sich seine Hände in ihr Haar gruben.
Schließlich löste er sich ein Stück weit von ihr, ohne sie wirklich loszulassen und sah sie an. „Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, Shadia, aber ich verhungere.“ Seine Augen blitzten auf und ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen.
Lauriel lächelte und nickte.
„Du hast Recht. Lass uns jagen gehen.“
Und noch während sie den Satz aussprach, schluckte sie, schob das seltsame Gefühl, das in ihr aufkam jedoch von sich fort und nahm seine Hand.
Bei den Pferden angekommen zog sie ein langes, gebogenes Messer aus den Satteltaschen ihrer Stute. Alkanas hingegen griff zu Pfeil und Bogen.
„Dann lass uns schauen, was die Wüste für ein Abendessen für uns bereithält.“ Er lachte und gemeinsam zogen sie los.
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Kapitel 3 - Schmerz
Langsam gingen sie zum Wasser hinab.
Die sanften Wellen plätscherten am Ufer und die Pflanzen rund um den See verströmten einen süßlich-würzigen Duft.
Das Licht war ein Wechselspiel zwischen dem kalten Glitzern der Sterne und dem lichten Blau der Morgendämmerung, kurz bevor das erste Rot sich über den Himmel legt.
Alkanas ergriff ihre Hand, als wäre es selbstverständlich und sie ließ es geschehen, die Gedanken gefangen in einem nicht enden wollenden Tanz, der wie ein Sturm in ihr wütete.
„Shadia..“, murmelte er.
Lauriel hingegen sagte nichts. Jedes Wort erschien ihr falsch und tief in sich klang die ruhige und etwas schnippische Stimme von Detarius, ihrem ältesten und besten Freund:
„Natürlich könntest du weiter dort bleiben, aber das wäre selbst für dich völlig wahnsinnig, also um aller Drachen willen – nimm ihm seine Erinnerungen an dich – und – geh!“
Sie wusste, dass er genau das sagen würde, wenn er jetzt hier wäre – aber er war es nicht und sie brachte es nicht über sich.
Sie sah zu dem Mann neben sich und dachte an die unbeschwerten und schönen Stunden, die sie geteilt hatten.
Das wollte sie nicht zerstören. Sie wollte es ihm so wenig nehmen wie sich selbst.
Alkanas tiefe Stimme riss sie aus ihren Gedanken: „Sag – was weißt du über den Krieg jenseits des Meeres?“ Lauriel blinzelte und zog die Brauen zusammen.
„Der Himmel zeigt uns die schönsten Farben, die er zu bieten hat“, sie deutete mit dem Kinn auf den gerade eben emporkletternden Schleier von Rot, der über dem Osten der Wüste emporkam.
„Und du willst über Krieg reden?“
Er blieb stehen und sah in ihre dunklen Augen. Dann hob er die Hand und strich einige ihrer hellblonden Strähnen, die sich unter dem Schleier gelöst hatten, aus ihrem Gesicht.
„Du bist nicht von hier und doch scheinst du dich hier gut auszukennen. Mich interessiert nur, was du von dem weißt, was jenseits dieser Wüste und des Meeres geschieht.“
Lauriel tauchte für Augenblicke tief in das Blau seiner Augen und lächelte unwillkürlich. Dann senkte sie den Blick und versuchte zu überlegen, wie sie auf seine Frage antworten sollte, ohne sich zu verraten und ohne zu lügen.
Eine Weile lag Schweigen zwischen ihnen. Dann seufzte sie und begann leise und zögerlich zu sprechen, jedes Wort überdenkend und abwägend.
„Nun.. mir wurde erzählt, dass… es Unstimmigkeiten gab, zwischen Streitern des Roten und des
Grünen Drachen. Dass es dabei um .. die Achtung vor dem Weg des Lebens ging und.. dass.. durch ein .. .. Unglück zu Beginn dieses Zeitalters, ein Krieg entfesselt wurde, der seither kein Ende genommen hat.“
Sie sagte nicht, dass die Roten Streiter von Haus Nirakis, die damals auf die Truppe Grüner getroffen waren, mit ihren Zaubern deren Zorn erweckt hatten. Haus Nirakis wurde in Fallacon, dem Land des Roten Drachen nur geduldet und ihre Experimente an gefallenen Kriegern, die sie noch ein letztes Mal in die Schlacht schickten, stieß auch unter den Roten auf Widerwillen.
Sie sagte auch nicht, dass sie wusste, dass damals, vor so zahllosen Jahren, Alkanas, der bei jener Gruppe Grüner war, seine Frau verlor – zweimal – denn nach ihrem Tod, hatten die Nirakis-Magier sie wieder aufstehen und gegen die Grünen kämpfen lassen, so dass Alkanas gezwungen war, seine eigene Frau zu töten.
An jenem Tag war der, bis dahin vor sich hin schwelende Konflikt, zu einem Krieg herangewachsen, der das Land verwüstete und die Menschen, die zwischen seine Fronten gerieten, ins Unglück stürzte.
Alkanas hob einen Finger an ihr Kinn und drängte sie so mit sanfter Gewalt, ihm wieder in die Augen zu sehen.
„Ja, es stimmt, was man dir erzählt hat. Und doch war es so viel mehr, was diesen Krieg auslöste.“ Ein Schatten huschte kurz über seinen Blick, der sich kurz danach wieder klärte.
Die Weite in Lauriels dunklen Augen schien seinem Gemüt Ruhe und Frieden zu bringen und die düsteren Gedanken einfach zu verscheuchen.
„Es ist gut“, sagte er „lass uns nicht über den Krieg reden.“ Lauriel atmete auf.
„Doch eine letzte Frage habe ich.“ Sie lächelte – versuchte es zumindest.
„Ja?“
„Welchem Drachen folgst du, Shadia?“
In ihren Ohren hallte es schmerzlich. Hatte er diese Frage wirklich gestellt?
„Ich…“, begann sie zögerlich.
Keine Lügen, brannte es in ihrem Sinn.
„Die Geschichten auf den Wegen der Drachen folgen keinem Weg sondern dem Kreislauf.“ Sie sah ihn an und betete, dass ihm dies als Antwort genügen möge, so vage es auch war und so viel oder wenig es auch auf sie zutraf.
Eine Weile rührte sich nichts in seinem Gesicht. Doch wieder schien es, als würden seine Züge weich werden, je länger er in ihre Augen sah. Dann nickte er.
„Du magst es, in Rätseln zu sprechen, wie mir scheint. Aber gut.“
Eine Weile standen sie schweigend voreinander und jeder hing auf seine Weise seinen Gedanken hinterher. Dann spürte sie, wie sich seine Hände um ihre Taille legten, während sein Blick ruhig und tief in ihrem ruhte.
„Shadia..“
Lauriel schluckte.
Sie wusste, sie sollte gehen. Sie sollte fliehen, so lange es noch möglich war, denn was hier geschah, sollte nicht sein. „Ja..?“
Er lächelte und sie spürte ihr Herz schlagen, hart und unmissverständlich schlug es wieder und wieder von innen gegen ihren Brustkorb.
Sie sah dieses tiefe Meer in seinen Augen und wollte einfach darin eintauchen, vergessen wer oder was sie war.
Wie gerne hätte sie in diesem Augenblick alles eingetauscht, ihre unsterbliche Seele, ihre Fähigkeiten, die Verantwortung, die auf ihr lag - alles hätte sie hergegeben für einen einzigen Augenblick, in dem sie einfach ein Mensch sein konnte.
Ihre Gedanken streiften rote Schwingen, die Hitze des Feuers, die Leidenschaft und Liebe, die sie bei ihrem Drachen fühlte. Doch sie spürte auch die vielen Jahre der Dunkelheit, in der er sie nicht mehr aufgesucht hatte, in der er in keinem Traum mehr zu ihr gesprochen und ihr kein Zeichen mehr gesendet hatte. Sie fühlte die Kälte der Nächte, in denen sie vor ihrem Zelt saß und in den Himmel starrte, hoffend, dass selbst ein Drache irgendwann bemerken würde, wie viel Zeit bereits vergangen war.
Dann sah sie das Gesicht des Jägers ganz nah vor ihrem.
Eine seiner Hände hatte sich von ihrer Taille gelöst und unter dem Schleier in ihr Haar gewühlt, so dass sie nicht zurückweichen konnte und seine Lippen näherten sich ihren, langsam und doch ohne Zögern.
Dann als sie seinen Atem schon auf ihrer Haut spüren konnte, hielt er inne und eine Furche bildete sich zwischen seinen Brauen.
„Warum weinst du?“
Lauriel blinzelte. Erst jetzt spürte sie, dass ihre Wangen tränennass waren und rasch schluckte sie.
„Ich..“
Ihre Lippen bebten bei dem Versuch, eine Lüge hervorzubringen, wozu sie nicht imstande war.
„Ich.. weiß nicht, was hier gerade geschieht..“, flüsterte sie schließlich tonlos und der Wahrheit entsprechend.
Sein Griff lockerte sich und sie nutzte den Moment, um sich ihm zu entziehen und einige Schritte am Ufer entlang zu gehen, den Blick in den unendlichen Himmel gewandt.
„Was geschieht denn hier nur?“, flüsterte sie erneut, diesmal so leise, dass er es nicht hören konnte.
Rasch wischte sie mit dem Ärmel des Kleides über ihre Wangen. Sie wollte nicht weinen. In dem Moment spürte sie seine Hand schwer und ruhig auf ihrer Schulter.
Langsam drehte er sie zu sich herum und lächelte warm.
„Es ist alles gut. Wir haben Zeit.“
Lauriel hätte am liebsten laut gelacht und geweint zu gleichen Teilen, doch ihre Züge blieben unbewegt.
„Sieh her..“, er nestelte an seiner Tasche herum und zog etwas heraus.
„Ich möchte dir etwas schenken.“
In seiner Hand lag eine kleine Blüte mit grünen Blättern, die im Licht des aufgehenden Morgens einen seltsam violetten Schimmer zu haben schienen. In der Mitte glitzerte es wie gefrorene Tautropfen.
„Luishja“, fuhr er leise fort und nahm ihre Hand, um die Blüte hinein zu legen.
„Luishja, so nennt man die Blume der Seelen. Es gibt sie nur an wenigen Orten im Sturmwald, die geheim und verborgen sind. Man darf sie nur einmal in zehn Jahren pflücken, wenn der Mond in einer bestimmten Phase seines Zyklus ist und die Sterne die richtige Konstellation haben – nur so vertrocknet sie nicht.“
Lauriel blickte auf die kleine Blüte in ihrer Hand und lauschte seinen Worten. Hatte sie von dieser Blume schon einmal gehört? Sie war sich nicht sicher und es fiel ihr schwer, ihre Gedanken zu fokussieren, denn etwas in ihr fühlte sich seltsam an.
„Man sagt“, sprach er weiter „dass diese Blumen, wenn sie von zwei Menschen berührt werden, die etwas verbindet – etwas wie Freundschaft oder.. Liebe..“ ,er räusperte sich „nun.. man .. man sagt, dass diese Blüte eine Verbindung zwischen den beiden Seelen erschafft, die für alle Zeiten bleibt, dass sie ihre Wurzeln in die Seele desjenigen hinein wachsen lässt, der das Geschenk empfängt, so dass er niemals vergessen wird, dass da irgendwo auf der Welt noch jemand ist, der ihm nahe steht.“ Lauriels Blick weitete sich, während er sprach, als sie spürte, wie etwas ihre Lungen zusammendrückte.
„Man sagt auch, dass, selbst wenn die Blume verloren geht, sie bei demjenigen, der sie als Geschenk erhielt, wieder wachsen wird. Ist das nicht, eine schöne Geschichte?“ Lauriel keuchte.
Ein tiefes Brennen zog sich durch sie hindurch. Es fühlte sich an, als würde sie etwas vom Anfang bis zum Ende der Zeit reißen und sie in dem unendlichen Strudel fliegen lassen, wie ein Blatt im Herbstwind.
Er hatte es nicht wissen können. Ihre Seele war nicht wie die eines Menschen – sie war unsterblich. Zitternd sank sie auf die Knie und Alkanas Augen weiteten sich erschrocken, als er sah, wie die Frau vor ihm um jeden Atemzug zu kämpfen schien.
„Was…?“
Lauriel versuchte einfach nur zu atmen, doch jeder Atemzug war wie flüssiges Feuer. Es fühlte sich an, als würde jemand mit scharfen Klauen ihr Seelenlied zerreißen und neu zusammensetzen. Stück für Stück gruben sich die Wurzeln der Blume, die so unscheinbar ausgesehen hatte, in die Tiefe ihrer Existenz und sie hätte geschrien, wenn sie den Atem dafür gehabt hätte.
„Sahdia, was ist denn los? Was passiert denn hier? Das ist nicht richtig. So etwas ist noch nie passiert!“
Seine Stimme klang gequält und verzweifelt.
Lauriels Hand tastete nach Halt und griff ins Leere, so dass mit dem Gesicht auf den sandigen Boden fiel. In dem Moment allerdings spürte sie, wie sie hochgehoben wurde.
„Verzeih mir, das wollte ich nicht.“
Seine Stimme klang traurig und verwirrt und langsam trug er sie zurück zu dem Stein, wo sie geschlafen hatte, als er sie fand.
Dort angekommen ließ er sie auf den Boden sinken und legte seinen Mantel ab, um ihn unter ihren Kopf zu legen. Dann zog er sie in seine Arme und blickte auf ihr von Schweiß bedecktes Gesicht.
„Atme bitte weiter..“
Er klang wie ein kleiner Junge, und sein Blick lag erschrocken auf ihr.
„Bitte..“
Lauriel versuchte es.
Tief in seinem Arm geborgen konzentrierte sie sich nur auf ihren Atem und darauf, dass er nicht aussetzen möge. Sie erinnerte sich an ihren Vater, der sie vor so unendlich langer Zeit wieder und wieder über ihre Grenzen hinaus getrieben hatte.
„So lange du Schmerz fühlst, lebst du, also mach weiter!, Sei Rot!“
Und sie atmete, ein und aus, über Stunden, tief in seinen Armen, bis irgendwann der Schmerz abebbte und sie, trotz der längst hell und brennend am Himmel stehenden Sonne zu frieren begann. Näher noch zog er sie an sich, obgleich es für ihn unerträglich warm sein musste.
„Alles wird gut, Shadia.“
Sie öffnete blinzelnd die Augen und versuchte seine Züge zu erkennen.
Wie im Fieber flatterte ein Lächeln über ihr Gesicht und die Worte, die ihren Mund verließen, waren undeutlich.
„Wawindaji chini ya nyota“ ‚Jäger unter den Sternen‘.
Ohne es zu wissen, hatte er sich seine eigene Unsterblichkeit erschlichen, indem er zugelassen hatte, dass ein Teil seines Seelenliedes in das ihre geflochten wurde und gleich, was die Zukunft bringen mochte, dieses Band würde sich nicht wieder lösen lassen.
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Kapitel 2 – Dunkle Träume
Eilig und doch von einer seltsamen Ruhe erfüllt schritt Alkanas durch die Straßen Al’Bajaars, doch anders, als am Tag zuvor, hatte er kein Auge für die Schönheit der Stadt oder all die Besonderheiten, die auf dem Markt und in den kleinen Läden der schmalen Gassen feilgeboten wurden.
Sein Blick war fokussiert und klar und seine Schritte folgten einem Ziel, welches er nicht gewillt war, aus dem Griff seiner Gedanken zu lassen.
Lange hatte er in der Nacht noch vor den Toren der Stadt unter den Sternen gesessen und das Geschehene in sich nachklingen lassen. Was war an dieser Frau, was ihn so faszinierte?
Er hatte in den Nachthimmel geblickt und sich an ihre Stimme erinnert, wie sie die Legende über Ashant und die Engel des Silbernen Drachen erzählt hatte. Er hatte sich an das Gefühl erinnert, dass sie, ebenso wie er, viel älter sein musste, als es den Anschein nahm, denn aus ihren Worten sprach ein Wissen, das lange vor Beginn dieses Zeitalters lag.
Abrupt blieb Alkanas stehen, als er die Unterkunft erreicht hatte, von der man ihm gesagt hatte, dass sie hier wohnen würde.
„Hey..“, rief er dem alten, dürren Mann zu, der vor dem Eingang saß und die Sonne auf sein dunkel gegerbtes Gesicht scheinen ließ.
„Was denn?“, der Mann öffnete nicht einmal die Augen.
„Ich suche eine Frau, die hier wohnt – sie heißt Shadia. Wo finde ich sie?“ Der Mann öffnete ein Auge und betrachtete damit kurz den Hünen vor sich. „Abgereist.“
Alkanas trat näher an ihn heran, so dass sein Schatten auf den Mann fiel und dieser schließlich beide Augen öffnete, um dann zu bemerken, dass in Alkanas Gesicht ein Ausdruck lag, der ihn schlucken ließ.
„Wann?“, fragte Alkanas, ohne den Blick aus den trüben, blassgrauen Augen des Mannes zu wenden.
„Diese Nacht. Sie.. ritt in Richtung Westtor.“
Alkanas knirschte mit den Zähnen und nickte kurz.
„Wo ist ihr Zimmer?“
Der Mann stand auf und streckte sich, nur, um zu merken, dass Alkanas ihn dennoch um mindestens zwei Köpfe überragte.
„Was geht euch das an?“, versuchte er es mit dünner werdender Stimme.
„Ich fragte .. welches Zimmer.“
Alkanas Blick bohrte sich in den des Mannes und dieser schluckte schließlich und hob die Schultern. „Ist ja gut. Die Treppe hinauf und die zweite Tür links.“
Kaum war der Satz gesprochen, war Alkanas auch schon die Treppe nach oben gehastet und hatte die Tür zu dem kleinen, schlichten Raum aufgedrückt. Ein Bett, eine Truhe, ein Fenster. Nicht mehr. Neben dem Bett stand halb ausgetrunkener Tee und als er die Truhe öffnete, fand sich darin ein Schleier, dunkelblau und silbern schimmernd, wie der Sternenhimmel.
Alkanas hob den Schleier an sein Gesicht. Er gehörte ihr, zweifellos. Er nahm ihren Geruch wahr sowie den Duft ihres Parfums, Yasmin mit einem Hauch Orange.
Dann grinste er.
Er hatte, was er brauchte.
Rasch eilte er die Treppe hinunter, während er ein Stück Wurzel aus einer seiner Taschen hervorzog und begann darauf zu kauen. Es dauerte nicht lange, bis sich all seine Sinne auf einen bestimmten Punkt fokussierten und ein erwartungsvolles Grinsen seine Lippen umspielte.
Die Fährte lag vor ihm, wie ein roter Faden, der sich bis in die Wüste zog.
„Wo bekomme ich ein schnelles Pferd?“
Er sah den alten Mann nicht einmal an, als er die Frage stellte.
„Ehm.. ihr.. könnt Madavri fragen. Die Straße geradeaus und dann die zweite Gasse links.“
Er hatte den Satz noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da war Alkanas auch schon verschwunden.
Über Elitawana lagen dichte Regenwolken und die Luft war kalt und drückend.
Layna, die Stimme der Zeit, saß in der Bibliothek und starrte in eine kristallene Schale, die mit Wasser gefüllt war.
„Könnt ihr mit dieser Schale in die Zukunft sehen, Herrin?“
Ein dünnes Mädchen mit struppigem, aschblondem Haar und einfacher Kleidung sah zu der Frau, deren Züge konzentriert und angespannt wirkten.
Der Hauch eines Lächelns huschte kurz über die Lippen der Frau, dann schüttelte sie den Kopf.
„Nein, Miana, es hilft mir nur, meine Gedanken zu sortieren, wenn ich hinein blicke.“
„Was muss man tun, wenn man so werden möchte wie du? Kann ich es bei dir lernen?“
Laynas tiefe, graue Augen schweiften von der Wasseroberfläche hinaus aus dem Fenster und über die Wälder hinweg.
„Du kannst nicht lernen, eine Stimme der Zeit zu werden, Kind. Du wirst mit dieser Bürde geboren oder nicht.“
Layna seufzte leise und strich das schlichte, graugemusterte Leinenkleid, das sie trug, glatt während sie aufstand.
„Schade.. ich wäre gerne wie du. Jeder hier bewundert dich und alle sind ganz aus dem Häuschen, wenn du zum Tempel kommst.“
Layna runzelte die Stirn und während sie an das Fenster herantrat, sprach sie leise, ohne Miana anzusehen.
„Glaub mir, Liebes, du solltest froh und dankbar sein, nicht so zu sein wie ich. Nichts daran bedeutet Freude oder Glück.“
Der Zug um ihren Mund wurde bitter und ihr Blick heftete an der Ferne, weit über die Wälder hinweg in den Süden hinein, wo sie das Meer wusste.
„Man wird geboren, um Dinge zu sehen, von denen man nicht weiß, ob sie geschehen werden, oder ob man sie erst geschehen lässt, indem man sie ausspricht. Ich sehe Dinge, die mich erschrecken und mir das Herz zerreißen und bei jedem dieser Dinge muss ich abwägen, was davon die Drachen wissen sollten und was nicht. Glaub mir, diese Aufgabe willst du nicht und auch sonst niemand auf dieser Welt.“
Miana sammelte einen leeren Becher, eine Karaffe mit Wasser und einen leeren Teller ein, die nahe dem Platz standen, an dem Layna eben noch gesessen hatte.
„Aber ist es nicht unglaublich aufregend zu wissen, was die Zukunft bringen wird?“ Ihre Stimme bebte vor Bewunderung und Anspannung.
Layna hingegen schüttelte nur müde den Kopf.
„Nein.. keineswegs. Und jetzt bringe bitte die Sachen weg.“
Als das Mädchen die Bibliothek verlassen hatte, starrte Layna noch immer in die Weite über den Wäldern, die den Tempel und die strahlende Stadt um ihn herum umgaben. Sie liebte es, hierher zu kommen, wo alles anders war.
Hier war der Krieg fern und die Menschen lebten in Frieden. Hier waren die Wege der Drachen in Gemeinschaft vereint und trachteten sich nicht nach dem Leben.
Die Abgeschiedenheit der Tempelstadt legte eine Ruhe über alles, die sie mehr als alles andere zu schätzen wusste.
Doch verhinderte ihre Anwesenheit in Elitawana nicht, dass sie die Wege des Schicksals sah und erkannte. Wenn sie die Augen schloss, sah sie vor sich einen Mann ungestüm durch die Wüste reiten, einer Fährte folgend, die er nicht bereit war, aufzugeben.
Langsam, ganz langsam wandte sich Layna schließlich vom Fenster ab und öffnete die Augen, um ihr Gemüt von den zahllosen Schriften und Büchern um sich herum beruhigen zu lassen, doch wollte ihr dies nicht wirklich gelingen.
In ihrem Kopf hallten der Klang der Hufe auf glühendem Sand und der Gesang einer Frau, der die Fäden des Schicksals neu miteinander verknüpfen konnte.
„Was habe ich getan..“, flüsterte sie.
Und zum ersten Mal, seit sie das Zeitalter des Zorns ausgerufen hatte, weinte sie.
Lauriel saß schlafend an einen Felsen gelehnt in einer kleinen Oase, die etwas mehr als einen Tagesritt von Al’Bajaar entfernt in der Wüste versteckt lag. Die Sterne funkelten über ihr doch der Himmel am Horizont verriet mit einem blassen Blau bereits das Nahen des Morgens.
Sie kannte und liebte diesen Ort und hatte schon oft Zeit hier verbracht, wenn sie Osarien besuchte. Hier herrschte Frieden. Hier konnte sie ihren eigenen Gedanken Raum geben und Kraft schöpfen, ehe sie sich auf den Weg zurück in den Krieg machte.
Doch die Bewegungen ihrer Augen unter den geschlossenen Lidern waren hektisch und Schweiß stand auf ihrer Stirn.
Tief in ihrem Traum sah sie das gleiche, wie jede Nacht, in der sie versuchte, Schlaf zu finden. Sie blickte in Augen, die so schön waren, wie grausam. Wie ein See im tiefsten Wald strahlten sie blau und grün demjenigen entgegen, der hineinsah. Doch unter der Oberfläche lagen scharfe Felsen, die jeden, der dumm genug war, hineinzuspringen, zerfetzen würden.
Diese Augen verfolgten sie, obgleich sie jenen, zu dem sie gehörten, nur einmal aus der Nähe gesehen hatte.
Dargass – König des Wandels auf dem Weg des Grünen Drachen. Er war die Waffe, die erschaffen wurde, um die Legendenweber, vor allem sie, da sie die Legendenweber an die Seite des Roten gerufen hatte, zu jagen und zu töten.
Als er vor wenigen Jahren vor ihr stand, hatten siebzehn Rote Streiter ihr Leben gelassen, um ihn daran zu hindern, zu ihr zu kommen, während der Rest der Truppe sie gewaltsam mit sich fort zerrte. Sie hatte sie angeschrien und geflucht, dass sie nicht fliehen würde, vor niemandem und dass sie gegen ihn kämpfen wollte.
Doch die Roten hatten nicht auf sie gehört. Es war das erste Mal gewesen, dass sie sich so offen ihrem Befehl widersetzt hatten, doch waren bereits vier Legendenweber durch Dargass Hand getötet worden und es gab Geschichten darüber, dass eine kleine Wunde, die er schlug, bereits genügte, um den Tod zu bringen.
Zorn hatte sie zerfressen, verfolgte sie sein Blick doch schon seit seiner Erschaffung in ihren Träumen. Dann hatte sie seine Stimme vernommen, die über das Schlachtfeld hallte, während er seine Klinge durch seine Feinde führte und den Boden mit Blut tränkte. „Ich werde dich finden, Lauriel!“
„Ich werde dich finden..“ .. Seine Stimme war wie eine Klinge in ihren Träumen, jede Nacht, so, wie sein Blick. Als machte der Grüne Drache sich über sie lustig, indem er ihre Träume mit Angst und Schmerz vergiftete.
„Nilakupata..“.. die Worte der alten Sprache drangen an Lauriels Ohr und sie riss die Augen auf und schrie, als sie ein Paar blaue Augen vor sich sah.
Wie Schraubstöcke schlossen sich riesige Hände um ihre Handgelenke und hielten sie nur umso fester, als sie versuchte, sich dagegen zu wehren.
„Es ist gut, was immer es war, es war nur ein Traum.“
Lauriel blinzelte atemlos und erkannte die Züge des Mannes, vor dem sie aus Al’Bajaar geflohen war. Ihr Herz raste und schlug bis in ihren Hals. ‚Nilakupata – ich habe dich gefunden‘, noch immer brannte Dargass Blick in dem verschwindenden Nebel ihres Traumes.
„Du .. sprichst die alte Sprache?“
Sie sah Alkanas an und ganz langsam, Muskel für Muskel, entspannte sie sich wieder.
„Du verstehst sie?“
Lauriel presste die Lippen aufeinander.
Er hatte sie getestet und sie war darauf hereingefallen.
„Mein Vater hat sie mir beigebracht.“ Das war nicht gelogen.
Alkanas nickte und ließ sie los.
Ruhig sah er sie an und wo er zuvor noch grimmig auf der Jagd nach ihr gewesen war, legte sich jetzt eine seltsame Art von Milde über seine Züge, die sich schließlich in einem Lächeln auf seinen Lippen spiegelte.
„Du bist weggelaufen. Warum?“
Lauriel sah zu ihm hinauf und seufzte.
„Komm, wir gehen ein wenig spazieren.“